Sonntag, 5. Juli 2009

Rosen unter Palmen - Folge 9

geschrieben von: CormacMcCarthy, 04.07.09 23:53

Vom Knall geleitet eilte die Gräfin zurück Richtung Kurhotel. Vergessen schienen die Musik und der weiße Gebäudekomplex, aber etwas in ihrem Inneren sagte ihr, dass dieser Ort der Ort der Entscheidung werden wird, welche Entscheidung auch immer zu treffen sein wird (!). Als sie die Haupthalle betrat, wandte sie sich ans Personal und fragte, von einem Drang des Hungers getrieben: "Wir bekommen einen Lönch?" Die Rezeptionistin starrte die Gräfin verzückt aber irritiert an und fragte: "Wie meinen?" "Einen Lönch, wir bekommen doch jetzt einen Lönch, nicht wahr." "Aber nein gnädiges Fräulein, da scheinen sie sich in der Zeit geirrt zu haben." Die Gräfin erwiderte: "Aber ich habe doch die Essenkanone feuern hören, das sichere Zeichen der baldigen Verkostung." "Oh", erwiderte die mittlerweile arg aufgeregte Rezeptionistin, "da müssen sie sich getäuscht haben." Verwirrt wendete sich die Gräfin ab, sammelte sich und versuchte, die Sinneseindrücke neu zu ordnen. Hatte sie nicht den Knall vernommen? Sie verließ die Rezeption, ganz in Gedanken versunken und orientierungslos. Was mochte denn das Geräusch bedeutet haben? Ein Knall, gewiss. Aber wenn er nicht auf das nahende Essen hindeuten sollte, welche Funktion hatte er dann? So überlegend schlenderte sie durch das Kurhotel, kam an den Seminarräumen entlang und fing sporadisch Wortfetzen auf: "... immer die gesellschaftliche Form des Produktionsprozesses, er muss kontinuierlich sein oder periodisch stets von neuem dieselben Stadien durchlaufen. So wenig eine Gesellschaft..." Helli eilte weiter. "... dessa skrifter är allt annat än kammarlärda spekulationer och vemodiga drömmar till tröst under landsflyktens tunga öde, den bild av..." Was sollte das alles bedeuten? Sie beschloss, auf ihr Zimmer zu gehen und einen klaren Kopf zu fassen. Was nütze das Grübeln, hatte das nicht schon immer ihr Vater (Gott habe ihn selig) gesagt? Ja, Fürst Ermakov war ein weiser, gelegentlich auch despotischer Mann, aber darin hatte er Recht. Also raffte sie ihre Kleider, setzte zum schnelleren Gehen an und langte fast bei ihrem Zimmer an, als ihr eine Kuriosität ins Auge stach. Die Tür ihres Zimmernachbarns, einem Mittzwanziger Uniabsolventen (soviel sie bisher wußte), stand in einem recht merkwürdigen Winkel offen. Sollte sie? Sollte sie wirklich? Die Gräfin war eigentlich nicht als Klatschbase oder Schnüfflerin verschrien, aber die Umstände des unerklärlichen Knalls und der nun offenen Tür ließen sie nicht lange zögern. Beherzten Mutes drückte sie die Tür weiter auf, stolperte in das pechschwarze Zimmer und fiel sogleich über eine Art Gegenstand. Nachdem sie wieder ich elfengleiche Balance gefunden hatte, begab sie sich auf die Suche nach dem Lichtschalter. Merkwürdig, dachte sie, wer verschließt denn am hellichten Tage die Fenster? Nachdem sie den Schalter gefunden hatte, schmerzten ihre Augen kurz von der plötzlichen Helligkeit. Wenige Sekunden vergingen, dann sah sie sich im Zimmer um, suchte nach dem Grund ihres Stolperns und schrie. Sie schrie, weil kurz hinter der Tür die Gestalt ihres Zimmernachbarn leblos auf dem Boden lag. Scheinbar war er erdrosselt worden, immerhin war kein Blut zu sehen und um seinen Hals waren deutlich Würgemale zu erkennen...

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