Samstag, 4. Juli 2009

Rosen unter Palmen - Folge 1

geschrieben von: Helli Gräfin E., 02.07.09 08:58

Gespannt blickte Gräfin Ermakova aus dem Zugfenster. Die Landschaft, durch die sie im Regionalzug (aufgrund eines günstigen XXL-Event-Power-Countryside-Tickets-gültig an allen ungeraden Tage mit D) fuhr, veränderte sich, eine Heidelandschaft wechselte sich ab mit grünen Wiesen und lauschigen Feldern. „Wie damals, als ich zu meinen Freundinnen Dick und Dalli fuhr“, dachte Helli, verdrängte aber diese Erinnerung rasch, weil ihr einfiel, wie sie damals gleich mehrfach von den Shetlandponys getreten worden war. Helli ärgerte sich nun fast, gleichzeitig registrierte sie etwas mit einer Mischung aus Amüsement und Gereiztheit die lautstarken Alltagsbeobachtungen eines Schweden, der ein paar Sitze hinter ihr saß, und in radebrechendem Deutsch nahezu alles kommentierte. Helli hatte zu Beginn der Reise herzhaft lachen müssen über die drolligen Formulierungen, zumal sie den grauhaarigen Schweden recht attraktiv fand („dem würde ich alles durchgehen lassen“, hatte sie sogar gedacht“), traute sich nun aber nicht mehr, da sie von mehreren Mitreisenden mit erhobenen Zeigefinger darauf aufmerksam gemacht worden war, dass ausgerechnet dieser Schwede in einwandfreien Deutsch bei der Abreise in München die Feuerwehr bestellt hatte, weil ein Abfalleimer auf dem Bahnsteig qualmte. „Egal“ dachte Helli und schloss die Augen. Ihre Gedanken schweiften zurück in die vergangenen Jahre. Auf einer turbulenten Reise mit der TVForengemeinde auf einem Dampfbootsegelschiff vor einigen Jahren hatte sie ihren verschollen geglaubten Ehemann wiedergefunden, gleichfalls die geliebte Tochter Ninschen. Gemeinsam mit den Reisegefährten hatte sie sich in Alaska ein neues Zuhause gesucht, um ein gleichfalls neues Leben zu beginnen. Da man allerdings – wie auch anders- einige Finanzierungsprobleme hatte, auch gab es diverse Sprachschwierigkeiten in der neuen Heimat, hatten die Auswanderer sich bzw. ihre Gesichte an den Sender „Vox“ verkauft, der im Rahmen einer Dokusoap über die Truppe täglich berichtet hatte. Die Folgen waren unschön. Zum einen trug die Soap den Titel: „Nach mir die Sintflut“, vor allem kamen aber in Scharen Reporter, andere Sender und vor allem sensationslüsterne Touristen, die lachend aus Bussen an den Häusern der TVForengemeinde vorbei fuhr. Mitunter war die Situation völlig eskaliert, wenn u.a. ein Bottruper Fussballclub vor dem Haus der hübschen Ona schrie ausziehen, ausziehen“ und und und. „Warum haben die eigentlich nicht bei mir geschrien“, dachte Helli. So war die kleine Gemeinde vorerst zerbrochen, ein einfühlsames kleines Fernsehporträt dazu war in der Reihe 37 Grad im ZDF gelaufen (Wenn Träume platzen), „das nützt uns aber auch nix mehr“, dachte Helli verbittert. Die Ehe mit ihrem Mann zerbrach gleichfalls wieder, er hatte sich geoutet und sich gleichzeitig heftig in den Noch-Ehemann von Veronica Ferres, Martin Krug, verliebt, der aber davon wohl noch nichts wusste. Sonst wären sie ja schon vielleicht zusammen, überlegte Helli, und war zum wiederholten Male etwas beleidigt, wenn sie sich mit diesem Herrn Krug verglich. Ninschen war in Hamburg und studierte dort erfolgreich (wie lange eigentlich noch?), meldete sich allerdings auch weniger. Aber Hauptsache, es geht ihr gut, dachte Helli. Vor ihr lagen hoffentlich unbeschwerte und vor allem erholsame Tage in einer großen Kurklinik. Hitzewallungen, daraus resultieren Kleinkrämerei und explodierender Gin Tonic Konsum hatten die Gräfin veranlasst, bei ihrer Krankenkasse eine Kur zu beantragen, die ihr zu ihrer großen Verwunderung, sonst klappte eigentlich nie etwas, unbefristet genehmigt wurde. Die Kurklinik „Rosen unter Palmen“ lag einsam an einem großen Fluss im Norden Deutschlands. Viele prominente Gäste verkehrten hier, die eine ließen sich die Nase wegoperieren, andere hofften, von schwerer Krankheit zu genesen und wieder andere suchten die Geselligkeit als auch den Abschied von der alkoholschwangeren Geselligkeit. Helli war ins Grübeln geraten und verpasste dadurch fast die Ankunft in dem kleinen Kurort. Zum Glück oder auch Pech hielt der Zug so abrupt, dass Helli quer vom Sitz in ihr Gegenüber hineinflog, einem ebenfalls attraktiven angegrauten Herren, groß und schlaksig, der seit Anbeginn der Reise, er war in Hamburg zugestiegen, in Speisekarten herumgestrichen hatte (89 a - 123z wird gestrichen, hatte er bei eine Karte eines wohl griechischen Lokals gemurmelt). Gleichfalls war er etwas dadurch aufgefallen, dass er beim Betreten des Abteils mit wenigen Handgriffen alles umdekoriert hatte, die Anordnung der Sitze war nun gruppenweise, gleichfalls hatte er mit einem Textmarker Sprossen auf die Abteilfenster gemalt („so unterstreichen wir den norddeutschen Charakter“, hatte er dabei gerufen) und er hatte mit seinen wunderschönen Händen appetitliche Sandwiches belegt und an die Reisegemeinschaft weiterverteilt. In der Tat hatte sich in kürzester Zeit der gesamte Waggon bis auf den letzten Platz gefüllt, was ja, wie Helli dachte, eigentlich gar nicht so toll ist. Nun aber lag sie quasi auf dem Schoß des Herren, der sie aber lachend auf die Beine stellte und sich vorstellte. „Mein Name ist Christian Rach“. Gemeinsam sammelten Herr Rach und Helli schnell ihre Gepäckstücke und stiegen wie noch viele andere aus dem Zug, nicht ahnend, dass sie holterdipolter in einen Karneval bunter Abenteuer stolpern sollten.

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